Maison Merci, Cherie!

Wir sind am Rande eines kleinen Ortes mit weniger als 100 Einwohnern. Orte wie diese liegen hier im Abstand von vielen, endlos wirkenden Überland-Kilometern zueinander. Die Umgebung wird zu 100% von Landwirtschaft geprägt, hier scheint die Zeit langsamer zu laufen. In der unscheinbaren Siedlung stehen vorwiegend schmucke, moderne Wohnhäuser. Keine Geschäfte, keine Werkstatt, keine Industrie, nichts. Ein einzelnes Haus sticht hervor, obwohl es sich versteckt. Dichtes Gestrüpp und stämmige Bäume umschließen das Anwesen inmitten der Hausreihe wie einen Kokon. Die Haustür steht offen, und trotzdem ist sie nicht passierbar, so dicht wuchert hier der Efeu. Innen angekommen, finden wir uns erst einmal in 2 großen, total vermüllten Zimmern mit heillosem Durcheinander. Wir beschließen, die Erkundung unter dem Dach zu beginnen und gehen die mit einem Teppich überzogene Holztreppe 2 Stockwerke nach oben. Vorrangig sticht das pure Chaos ins Auge, Schränke wurden umgeworfen, Bücher liegen wild verstreut, doch ganz oben sind wir begeistert von 2 unglaublichen Jugend-Schlafzimmern. Offenbar war es ein Mehrgenerationen-Haus, wir zählen insgesamt 8 Betten. Erstaunlicher Weise hat das Dach bis heute dicht gehalten, es dringt keine Feuchtigkeit von oben ins Gebäude. Der Verfall hält trotzdem Einzug. Überall abblätternde Farbe, welliges Holz und schwer zu öffnende Türen. Kinderspielzeug ist in Hülle und Fülle vorhanden, Bücher ohne Ende. Es fällt schwer zu verstehen, weshalb hier alles zurückgeblieben ist. Die größte Überraschung ist das Musikzimmer: Kaum zu glauben, finden sich hier gleich 3 Klaviere in erstaunlich gutem Zustand. Weitere Highlights sind eine Hausbibliothek mit einem anständigen Stock an Hochprozentigem. Die Bedeutung von 4 gleichen Küchenlampen, die alle hintereinander geschaltet sind, entzieht sich unserer Kenntnis. Durch die Fenster kommt ein grünes Leuchten ins Innere, in jedem Zimmer. Die Sonne bescheint die zugewachsenen Fenster und taucht die Zimmer in ein Dauergrün - ein bizarrer Anblick. Hier hat eine sehr belesene und gebildete Familie einmal ihr Zuhause gehabt. Wir sehen weiter Unmengen an Briefen, sie sind aus den 60er Jahren bis in die späten 1990er. Als wir gehen, haben wir einen kleinen Einblick in das Tun und Wirken der Bewohner bekommen. Mit Tonnen an Eindrücken und viel Spielraum für Phantasie verlassen wir diesen stummen Ort, der seine Geschichte unter dem Deckmantel der Natur für immer behält.

Maison Merci, Cherie!

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